Unruhe im System: Warum Störungen in Organisationen wertvoll sind

Wenn es in Organisationen rumort, ist das kein Fehler – sondern ein Signal. Warum Störungen Hinweise auf Entwicklungschancen sind.

Wenn es in Organisationen rumort, ist das kein Fehler – sondern ein Signal. Warum Störungen Hinweise auf Entwicklungschancen sind.

„Irgendwas stimmt nicht seit der Reorganisation.“ – Diesen Satz höre ich regelmäßig, meist mit einem gewissen Frust und dem Wunsch nach einer schnellen Lösung. Doch in der systemischen Perspektive sind Störungen keine Probleme, die „weg müssen“. Sie sind Signale, manchmal leise, manchmal laut – aber immer wertvoll. Sie zeigen, dass ein System etwas mitteilen möchte. Die Frage ist also nicht: Wie bekommen wir wieder Ruhe rein? Sondern: Was will uns die Unruhe sagen?

Unruhe als Spiegel des Systems:

In einem wachsenden IT-Unternehmen in Potsdam beobachtete die Geschäftsführung, dass seit der Einführung agiler Methoden die Stimmung im Team zunehmend angespannter wurde. Die Konflikte häuften sich, informelle Kommunikationskanäle liefen heiß, und der Krankenstand stieg. In einem Workshop zur Teamdynamik zeigte sich: Die neuen Methoden waren nicht das Problem – sondern der fehlende Dialog darüber, wie viel Veränderung die Mitarbeitenden in welcher Geschwindigkeit tragen konnten. Die Störung war kein Zeichen des Scheiterns, sondern Ausdruck eines unausgesprochenen Spannungsverhältnisses.

Ein weiteres Beispiel:

Ein Familienunternehmen im Bereich Medizintechnik hatte durch Generationswechsel und Digitalisierung tiefgreifende Umbrüche erlebt. Die Führung wünschte sich „mehr Ruhe und Struktur“. Doch im Mitarbeitendenkreis zeigte sich das Gegenteil: Rückzug, Sarkasmus, informelle Machtspiele. Erst durch eine systemische Analyse wurde klar: Die Unruhe spiegelte die fehlende Rollenklärung und das Spannungsfeld zwischen alter Loyalitätskultur und neuen Effizienzansprüchen. Die Störung half uns, die eigentliche Entwicklungslücke zu identifizieren – und nicht bloß die Symptome zu kurieren.

Systemisches Arbeiten mit Unruhe:

Systemische OE nimmt Störungen ernst, ohne sie zu dramatisieren. Sie fragt:

  • Was verändert sich gerade im System?

  • Wer ist irritiert – und warum?

  • Welche impliziten Regeln oder Erwartungen werden gerade in Frage gestellt?

Wir nutzen Methoden wie Hypothesenbildung, zirkuläre Interviews oder kollegiale Fallberatung, um die Sprache der Störung zu übersetzen. Denn: Systeme sprechen selten direkt. Aber sie sprechen immer.

Fazit:

Störungen sind keine Betriebsunfälle, sondern Entwicklungsimpulse. Sie laden ein, genau hinzuschauen – nicht mit dem Blick auf Schuldige, sondern auf Muster, Wechselwirkungen und Möglichkeiten. In KMU, wo persönliche Nähe, informelle Strukturen und schnelles Handeln den Alltag prägen, ist diese Haltung besonders wertvoll. Denn wer Störungen lesen lernt, erkennt: Unruhe ist nicht das Ende der Ordnung – sondern oft der Anfang von echter Entwicklung.


Ich bin Daniela Wilberg, systemische Organisationsentwicklerin. Wenn Sie mehr erfahren möchten: Lesen Sie gern weitere Artikel oder treten Sie mit mir in Kontakt.

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Von der Maschine zum Organismus: Metaphern als Schlüssel zum Organisationsverständnis

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Was hält Organisationen wirklich zusammen? – Systemische Perspektiven auf Zusammenhalt